Flow: der heilige Gral der Höchstleistung?

Flow gleich FokusFlow – es gibt nur noch das, was wichtig ist Foto: Planet Bene / flickr

In the zone“ – „Um wirklich gut zu sein, muss man schon im Flow sein, oder?“ – „können Sie mir helfen, in den Flow zu kommen?“ – Flow ist ein Wort, das mir im Gespräch mit Klienten oft begegnet. Das Konzept dahinter wird aber oft missverstanden.

In den 1990ern wurde die Forschung von Mihaly Csikszentmihalyi publiziert und dadurch populär. Er fasst die Entstehung der Flow-Theorie und deren Grundkonzepte in einem Vortrag (TED-Talk, englisch mit deutscher Übersetzung) zusammen: Ursprünglich ging es um die Erforschung dessen, was einen Menschen glücklich macht – und nicht um Leistung. Wie kommt der Flow also in den Sport?


Flow kann gemäss Csikszentmihalyi dann entstehen, wenn das eigene Können und die Aufgabe, die sich einem gerade stellt, optimal zusammenpassen: Gerade so schwierig, dass es einem nicht langweilig ist, aber auch nicht überfordernd. Wenn man an etwas arbeitet oder trainiert, das in diesen Bereich fällt, dann kann sich ein Gefühl einstellen, dass alles von alleine läuft, man sich wie losgelöst vom eigenen Körper fühlt, sich glücklich fühlt, in der Aufgabe völlig aufgeht und alles in und um sich herum vergisst: Der Flow, oder wie die Amerikaner gern auch sagen: „in the zone“.

Flow-DiagrammFlow gemäss Mihaly Csikszentmihalyi

Vor allem das Ausblenden von allem anderen – Zuschauern, Hunger, Zukunftsängsten, Lärm, anderen Wettkämpfern – ist natürlich etwas, das sehr dabei hilft, eine gute Leistung zu bringen. Nicht zuletzt deswegen erbringt man oft sehr gute Leistungen, wenn man sich im Flow-Zustand befindet: Es stört einen ja nichts mehr, nicht einmal die eigenen negativen Gedanken. Damit ist auch klar, warum viele Sportler gern im Flow sein möchten.

Als Mentaltrainerin bin ich immer hellhörig, wenn ein Klient von Flow redet – allzu oft wird Flow als nicht nur als hilfreich, sondern nahezu als das Einzige angesehen, das Höchstleistung ermögliche. Viele Sportler, die dem Flow nachjagen, denken, dass eine gute oder sehr gute Leistung halt einfach nicht möglich sei, wenn man nicht im Flow sei. Hinzu kommt, dass es sich einfach toll anfühlt, im Flow zu sein – Flow macht süchtig, man will das unbedingt wieder erleben. Das Resultat ist, dass viele versuchen, auf Biegen und Brechen in den Flow zu kommen – was aber nicht funktioniert.

Gemäss dem Modell von Csikszentmihalyi ist es so, dass Flow nur erreichbar ist, wenn die Herausforderung gross genug ist. Im Sport wie im Alltag gibt es aber viele Dinge, die eigentlich überhaupt nicht schwierig sind wie etwa Aufwärmen oder gegen einen unterlegenen Gegner spielen. Gerade bei Letzterem gerät man in Gefahr, sich die Aufgabe zu kompliziert zu machen, zu sehr die eigene Überlegenheit zeigen zu wollen – und dann zu verlieren, weil es nicht klappt. In vielen Interviews von Spielern, die mit ihrer Mannschaft eine schlechte Phase durchlaufen, hört man denn auch immer wieder: „Wir müssen wieder einfacher spielen, die einfachen Sachen richtig machen“.

Das passt auch wunderbar ins Modell von Csikszentmihalyi: Je grösser das eigene Können, desto geringer ist die Chance, bei einfachen Aufgaben in den Flow zu geraten. Je besser man wird, desto mehr Aufgaben werden zu einfach, um in den Flow zu kommen. Man versucht dann instinktiv, die Aufgabe schwieriger zu machen, weil einem sonst langweilig ist. Und Flow würde sich ja so viel besser anfühlen, nicht wahr?

Die Gefahr dabei ist, dass der Fokus auf die eigentliche Aufgabe verloren geht, man wird unkonzentriert aufs Wesentliche und macht Fehler. Bei allem Schnickschnack: Das Runde muss nach wie vor ins Eckige, das Rennen zu Ende gefahren werden – eindrücklich zu sehen bei den Olympischen Spielen in Turin, wo die Snowboard-Crosserin Lindsey Jacobellis mit riesigem Vorsprung beim letzten Sprung ein Kunststück zeigen wollte – und stürzte. In den meisten Sportarten ist es nämlich egal, wie kompliziert man vorgegangen ist: Ein Tor ist ein Tor, ein Punkt ist ein Punkt, der Schnellste wird Erster. Sogar bei ästhetischen Sportarten, wo der Schwierigkeitsgrad durchaus eine Rolle spielt, kommt Hochmut meist vor dem Fall.

Wie kann man sich also mental so vorbereiten, dass man auch und gerade bei einfachen Aufgaben seine Höchstleistung bringt? Schritt eins besteht nach meiner Meinung darin, sich vom „Flow“ zu verabschieden. Flow ist schön, wenn er da ist, aber er muss nicht. Die weiteren Schritte bestehen dann daraus, sich bewusst zu machen, welche Aufgaben anstehen und wie man sie angehen will – die einfachen Aufgaben halt eben mit Geduld statt mit Angriff. Dies lässt sich mit Visualisieren sehr gut üben.

Was das Ausblenden von Zuschauern, Ängsten, Lärm und anderen Störfaktoren angeht: Das funktioniert auch wunderbar mit Selbsthypnose. Es ist ja gerade eine Eigenschaft der Trance, dass man alles um sich herum vergisst und sich voll und ganz fokussiert. Selbsthypnose kann man lernen und überall anwenden – ganz unabhängig von der Schwierigkeit der Aufgabe, sich einem gerade stellt.


 
Katrin Bretscher, Mentaltrainerin Zürich

Wer schreibt hier?

Mein Name ist Katrin Bretscher, ich bin Mentaltrainerin für Sportler und "normale Menschen". Ich habe meine Praxis mit dem Namen "Power & Balance" in Zürich.

Ich habe ursprünglich an der ETH Informatik studiert und von Ballett über Karate bis Eishockey alle möglichen Sportarten trainiert. Nach verschiedenen Anstellungen und Weiterbildungen habe ich mich 2014 mit meiner eigenen Praxis selbstständig gemacht: Ich bin diplomierte Hypnose-Therapeutin, Trainerin für Autogenes Training und Mentaltrainerin.

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