Visualisieren unter der Lupe

PhantasiePhantasie und Vorstellungskraft gehören zu den grössten Stärken, die wir haben. Foto: Sweetie187 / flickr

Visualisieren ist eine der Grundtechniken des Mentaltrainings im Sport, und vielleicht auch die bekannteste. Man kennt das vom Fernsehen: Vor dem Skirennen ein Athlet, der im Schnee in die Hocke geht und so tut, als würde er das Rennen fahren. Eine Turnerin, die wie abwesend auf die Wettkampffläche schaut und einige Bewegungen andeutet. Aber was machen die da eigentlich?

Sich eine Bewegung vorzustellen ist eine sehr effektive Art zu trainieren: Das Hirn lernt auch dann, wenn man sich eine Bewegung nur vorstellt, statt sie tatsächlich auszuführen. Zwar nicht in gleichem Masse, aber doch deutlich (auch wissenschaftlich) messbar. Das hat mehrere Vorteile:

  • Im Hirn bekommt man keinen Muskelkater – man kann also auch anstrengende Übungen sehr viel öfter wiederholen, wenn man sich dabei nicht bewegen muss.
  • Das Hirn lernt auch dann, wenn man sich nicht bewegt. Das ist sehr praktisch, wenn man z.B. durch eine Verletzung ausser Gefecht ist.
  • Man kann sich im Kopf an beliebige Orte hinversetzen. Wenn du Skirennfahrer bist, hast du im Sommer wohl kaum die Gelegenheit, das Ziel-S am Lauberhorn sinnvoll zu trainieren. Und auch im Winter ist das mühsam: Du musst ja immer wieder erst hoch, um ein weiteres Mal hinunterfahren zu können. Im Kopf geht das viel schneller.
  • Die Vorstellung ist an keine physischen Gesetze gebunden. Somit kannst du dir eine Technik so langsam vorstellen, wie du möchtest – oder sogar mittendrin anhalten. Dies kann sinnvoll sein, um eine komplexe Technik zu erlernen oder zu korrigieren.
  • Deine Mitspieler sind in deiner Vorstellung immer da, wenn du sie brauchst. Auch morgens um 3, wenn du im Flugzeug sitzt oder zu Hause im Bett liegst. Ausserdem machen sie in deiner Vorstellung keine Fehler und können deine Übung so nicht stören – ausser, du möchtest genau das trainieren. Du kannst Spielzüge und Taktik damit bestens trainieren, auch wenn deine Kollegen gerade nicht da sind.

Ein Wort der Warnung

Genau wie beim physischen Training funktioniert es auch beim Visualisieren wunderbar, sich eine falsche Technik beizubringen. Und genau wie beim physischen Training schleift sich eine falsche Technik auch dann ein, wenn man sie „nur“ visualisiert hat.

Kommt hinzu, dass einem in der Vorstellung die Physik fehlt: In Gedanken kann man in der Luft schweben und sich so langsam oder schnell bewegen, wie die Fantasie es zulässt. In der Realität funktioniert das nicht ganz so ;-) . Deshalb sollte man die Technik, den Spielzug, etc. auch immer physisch trainieren und nur diejenigen Dinge intensiv visualisieren, die man im physischen Training auch bereits erfolgreich gemeistert hat.

Sich eine Bewegung vorzustellen ist also sehr sinnvoll. In der sportpsychologischen Literatur gibt es dazu auch sehr detaillierte Aufschlüsselungen, auf welche Arten man dieses „Visualisieren“ machen kann:

  • Innen oder aussen? Wenn du den Film im Kopf betrachtest, siehst du dich dann von aussen (wie wenn du dir selbst am Fernsehen zuschauen würden, „verdecktes Wahrnehmungstraining“), oder von innen (wie wenn du durch deine eigenen Augen schaust, „ideomotorisches Training“)?
  • Schauen und auch fühlen: Baue in deine Vorstellung nicht nur die Bilder ein, sondern auch, was du fühlst (sogenannt „kinästhetisch“). Den Boden unter den Füssen, wenn du landest, die Fliehkräfte in der Kurve. Wenn du möchtest, kannst du auch Gerüche oder Geräusche in deinen inneren Film mit einbauen. Dies ist vor allem dann sinnvoll und wichtig, wenn du die Innenperspektive („ideomotorisches Training“) wählst.
  • Sich vorsagen. Sage dir einfach still den Bewegungsablauf vor („tief, bereit, ab und landen“). Das kannst du, auch ohne dass du vor dem geistigen Auge ein Bild hast. Man nennt dies „subvokales Training“.

Ideomotorisches, subvokales und verdecktes Wahrnehmungs-Training sind übrigens Unterformen dessen, was die Sportpsychologie als „Mentales Training“ im engeren Sinne definiert.

Die (zugegeben eher verwirrenden) Fachbegriffe brauchen dich aber im sportlichen Alltag nicht zu kümmern. Wichtig ist nur, dass du dich nicht ausschliesslich aufs physische Training konzentrierst, sondern auch die Kraft deiner Fantasie und Vorstellungskraft nutzt, um optimal auf Training und Wettkampf vorbereitet zu sein. Visualisieren und mentales Training gehört in den Trainingsplan!


 
Katrin Bretscher, Mentaltrainerin Zürich

Wer schreibt hier?

Mein Name ist Katrin Bretscher, ich bin Mentaltrainerin für Sportler und "normale Menschen". Ich habe meine Praxis mit dem Namen "Power & Balance" in Zürich.

Ich habe ursprünglich an der ETH Informatik studiert und von Ballett über Karate bis Eishockey alle möglichen Sportarten trainiert. Nach verschiedenen Anstellungen und Weiterbildungen habe ich mich 2014 mit meiner eigenen Praxis selbstständig gemacht: Ich bin diplomierte Hypnose-Therapeutin, Trainerin für Autogenes Training und Mentaltrainerin.

Hier erfährst du (noch) mehr über mich.