Was ist Achtsamkeit?

Achtsamkeit - Meditation und AlltagAchtsamkeit: Was ist das genau?

Achtsamkeit – das klingt irgendwie gestelzt. Wie wenn man dazu erst vier Bücher lesen und siebzig Tage im Kloster verbringen müsste, bevor man sich rantrauen dürfte. Mir ging es jedenfalls so, als ich das erste Mal in Kontakt kam damit. Nur schon, als ich das Wort hörte, ging mir der Laden runter. Und eine kurze Internet-Suche machte es irgendwie nicht besser: Viele der ersten Bilder, die mir da entgegensprangen, zeigten superschlanke Models, die ihre Beine in bewundernswerter Art verknoten können. Und das soll mir helfen?

Was ist Achtsamkeit überhaupt?

Mit dem englischen Wort, „mindfulness“, konnte ich mich schon eher anfreunden: Voll sein von seinem Geist. Das trifft nach meiner Meinung auch die Idee hinter der Achtsamkeit viel besser: Du bist voll von deinem Geist, von dem, was gerade ist – und es gibt nichts anderes (weil es keinen Platz hat, sonst wärst du ja nicht bereits voll).

Es gibt also keine Einkaufsliste, die du im Kopf zusammenstellst, während du zu Mittag isst: Während du die Einkaufsliste zusammenstellst, bist du mit deinen Gedanken ganz beim Einkauf und tust nichts, als diese Liste zusammenzustellen. Du bist mit deinen ganzen Gedanken und allem, was du tust, ganz dabei.

Und während du isst, dann isst du – und bist auch mit deinen Gedanken ganz beim Essen. Du nimmst dir Zeit zu spüren, wie die Gabel und das Messer in der Hand liegen, wie es sich anfühlt, deine Nudeln auf die Gabel zu spiessen. Wie die Nudeln sich in deinem Mund anfühlen, wie sie schmecken. Du bist mit deinen Gedanken jetzt da. Bei genau dem, was du in diesem Moment machst.

Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Für Achtsamkeit braucht es keine Knoten in den Beinen und auch keine Supermodels. Das Einzige, was es braucht, ist etwas Aufmerksamkeit (oder eben das Darauf-Achten).

Achtsamkeit im Alltag

Wenn du wie ich manchmal etwas gestresst durch den Alltag rennst, dir zwischendurch ein Sandwich vom Kiosk zwischen die Kiemen klemmst und beim Kauen in Gedanken irgendwo sonst bist, dann ist das eher weniger achtsam.

Mit den Gedanken sind wir meistens in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Wir hängen guten, alten Zeiten nach; ärgern uns weiterhin über Dinge, die wir hätten besser machen können. Wir planen, träumen und malen uns aus, wie es gut – aber vielleicht auch nicht gut – kommen könnte. Und das zu tun ist ja auch nicht schlecht: Es lohnt sich, dich daran zu erinnern, dass du in der Vergangenheit etwas gut gemacht hast. Wo du in Zukunft etwas besser machen könntest – und zu planen, wie du das genau machen willst.

Das Problem dabei: Wirklich etwas erleben kann man immer nur jetzt. Auch wenn du es erst morgen erleben kannst, es wird dann zu diesem Zeitpunkt auch „jetzt“ sein. Wenn du davon träumst und hart darauf hinarbeitest, zum Beispiel einen Marathon zu finishen, dann bist du mit deinen Gedanken wahrscheinlich oft in der Zukunft. Wenn du aber nie gelernt hast, mit den Gedanken im Jetzt zu sein, dann wirst du auch in dem Moment, wo du die Ziellinie überquerst, nicht mit deinen Gedanken bei der Sache sein. Du bekommst deinen eigenen Moment des Triumphs, für den du so hart gearbeitet hast, gar nicht mit. Weil deine Gedanken wie gewohnt schon wieder irgendwo in der Zukunft herumplanen. Etwas wirklich zu geniessen wird so sehr schwierig – und das Gefühl, etwas erreicht zu haben, kommt auch nicht. Wie auch, du hast ja nie mitgekriegt, wenn du etwas erreicht hast.

Wenn du in deinem Leben etwas verändern willst, nützt es dir nichts, immer nur davon zu träumen, wie es dann sein wird, wenn es dann einmal anders sein wird. Irgendwann solltest du dich ja schon auch daranmachen, etwas zu verändern – sonst verändert sich ja nichts! Eines meiner Lieblingszitate ist vom Dalai Lama (ja, ich weiss, Zuckersäckchen-Instagram-Pseudo-Philosophie, aber es ist trotzdem gut), und es geht so: Es gibt nur zwei Tage im Jahr, an denen du nichts tun kannst. Der eine heisst gestern und der andere heisst morgen.

Wenn du also etwas verändern willst, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür. Oder wie Captain Jack Sparrow so schön sagte: „Falls du auf den richtigen Moment gewartet hast: Das wäre er gewesen“.

Achtsamkeit heisst nun aber nicht, dass du der Zunft der Pseudo-Instagram-Philosophen beitreten musst. Und es bedeutet auch nicht, dass man überhaupt nie mehr planen oder schönen Erinnerungen nachhängen soll. Achtsamkeit bedeutet nur, dass man die Dinge entflechtet: Wenn du planst, dann planst du. Wenn du Erinnerungen nachhängst, dann gibst du dich dem voll und ganz hin – ohne schlechtes Gewissen, dass du ja eigentlich gerade arbeiten, planen oder sonst etwas tun sollst. Und wenn du etwas tust, dann bist du mit deinen Gedanken voll und ganz beim Tun.

… und was bringt mir das?

Die Idee der Achtsamkeit kommt aus östlichen Meditations-Traditionen wie zum Beispiel dem Zen. Aber keine Angst: Man kann auch ganz un-religiös, christlich oder mit einer sonstigen Philosophie achtsam sein. In der Tat legen die meisten Religionen Wert darauf, dass man während des Gebets mit seinen Gedanken ganz dabei sein sollte. Mittlerweile ist die Achtsamkeit in unseren Breitengraden aber säkularisiert (sprich: von der Religion gelöst worden).

Grosser Anteil an der Verbreitung der un-religiösen Form der Achtsamkeit hatte in den vergangenen Jahren Jon Kabat-Zinn. Er ist Arzt und forschte bis zu seiner Pensionierung als Professor an der University of Massachusetts Medical School. Dort untersuchte er auf wissenschaftliche Art die Auswirkungen von Achtsamkeits-Meditation.

Kabat-Zinns Forschung zeigte, dass etwa Patienten mit chronischen Schmerzen oder Depressionen sehr davon profitieren. Er veröffentlichte auch mehrere Bücher, unter anderem „Full Catastrophe Living“ („… der ganzen Katastrophe des Lebens ins Auge sehen“) und „Wherever You Go, There You Are“ („Wo immer du hingehst, da bist du“).

Eine der eindrücklichsten Forschungen war eine Studie, bei der ganz normale Leute während 8 Wochen einfache Achtsamkeits-Meditation übten. Vorher und nachher machte man von ihrem Hirn ein MRI-Bild. Das Ergebnis: Das Hirn baut graue Masse ab, und zwar in den Arealen, die für Angst und Stress zuständig sind. Das Hirn ist wie ein Muskel: Dort, wo es trainiert wird, baut es graue Masse auf und wird „stärker“. Dort wo man es nicht braucht, baut es ab. Offenbar reichen also nur schon 8 Wochen Achtsamkeits-Übung, um dem Hirn das Signal zu geben: Es gibt jetzt weniger Angst und Stress, du kannst dort abbauen – was das Hirn dann auch tut.

Um’s kurz zu machen: Achtsamkeit zu üben hilft gegen Angst, Stress, Schmerz, Depression und viele psychische Leiden – das ist wissenschaftlich belegt.

Wie du deine Achtsamkeit trainieren kannst

Achtsamkeit begegnet uns auch im Alltag – nur nennen wir sie nicht so. Wenn du zum Beispiel Wein oder Whisk(e)y degustierst, dann bist du mit deinen Gedanken, deinem Denken und Fühlen ganz im Hier und Jetzt. Es geht nur darum, was du im Moment siehst, schmeckst und riechst. Das ist achtsam.

So ähnlich wie das Degustieren geht auch die bekannteste Achtsamkeits-Übung: Eine Rosine essen (wenn du keine Rosinen magst, kannst du etwas anderes essen oder trinken). Dabei schaust du die Rosine zunächst von allen Seiten an. Wo ist sie runzelig? Wie sieht sie von vorn, von der Seite, von oben aus? Welche Farbe hat sie? Wenn du sie in die Hand nimmst, wie fühlt sie sich an? Kühl? Klein? Weich? Wie fühlt sie sich an, wenn du sie in den Mund nimmst? Was schmeckst du? Wenn du darauf beisst, wie fühlt sich das an? Was schmeckst und fühlst du dann? Und so weiter.

Natürlich ist es jetzt nicht die Idee, dass du ab sofort jeden Tag fünfzehn Rosinen in dieser Weise verzehrst. Du kannst das machen, wenn du magst – den meisten Leuten würde es aber verleiden. Fürs Üben gibt es zwei Möglichkeiten:

  • Möglichkeit eins: Deine Achtsamkeit immer wieder zwischendurch trainieren – wenn du zum Beispiel Zug fährst. Wie sieht das Polster aus? Wie fühlt es sich an? Was hörst du? Welche Gefühle fühlst du momentan? Wenn jemand neben dir lautstark telefoniert – was macht das mit dir? Wo im Körper spürst du das? Wichtig dabei ist es, dass du versuchst, die Dinge ohne Bewertung zu betrachten. Der Telefonierer ist einfach da, du musst den nicht gut oder schlecht finden. Versuche ihn so wahrzunehmen, dass du anschliessend ein perfektes Phantombild (inklusive Ton!) von ihm malen könntest. Wie bewegt er sich? Und: Was passiert mit dir, wenn Dinge passieren wie laute Leute, Alleinsein, keinen Sitzplatz finden? Wo im Körper fühlst du das? Wie? Schau einfach zu und sei neugierig :-)
  • Möglichkeit zwei: Du besuchst einen Kurs. Es gibt einige Anbieter verschiedener Achtsamkeits-Meditationen. Wenn du magst, kannst du auch eine Zen-Meditation ausprobieren. Oder du besuchst einen Kurs in Autogenem Training: Autogenes Training besteht aus einer Reihen von Übungen, die dem Körper und Geist helfen, herunterzufahren, sich zu erholen und loszulassen – und achtsam zu sein.

Wie auch immer du dich entscheidest: Achtsamkeit ist alles andere als langweilig. Je genauer du siehst, spürst, hörst und fühlst, desto mehr spannende Dinge wirst du in deinem Alltag entdecken. Probier’s aus!


 
Katrin Bretscher, Mentaltrainerin Zürich

Wer schreibt hier?

Mein Name ist Katrin Bretscher, ich bin Mentaltrainerin für Sportler und "normale Menschen". Ich habe meine Praxis mit dem Namen "Power & Balance" in Zürich.

Ich habe ursprünglich an der ETH Informatik studiert und von Ballett über Karate bis Eishockey alle möglichen Sportarten trainiert. Nach verschiedenen Anstellungen und Weiterbildungen habe ich mich 2014 mit meiner eigenen Praxis selbstständig gemacht: Ich bin diplomierte Hypnose-Therapeutin, Trainerin für Autogenes Training und Mentaltrainerin.

Hier erfährst du (noch) mehr über mich.